Ein Wochenende im Süden Frankreichs, um in der Wüste den Durchblick zu behalten.
“So langsam wird es ernst”, denke ich als ich mich Freitagmorgen am 17.02.2012 auf den Weg zum Stuttgarter Flughafen mache. Ich werde dort Marie Le Neillon-Quesseveur und Susanne Ehmer (Vito Team 320) und meine „Navigatorin“ Julia Salamon (Vito Team 319) treffen – unser Ziel heißt Avignon. Die Verantwortlichen von Maienga (Organisation der Rallye Aicha des Gazelles) haben uns zum Navigationstraining eingeladen. Diese Veranstaltung ist für alle Rallye-Teilnehmerinnen Pflicht. Das Training kann entweder in Marokko oder Avignon absolviert werden.
Mit Flugzeug und Zug reisen wir über Lyon in die Stadt der halben Brücke. Die Anfahrt bietet Gelegenheit, uns in Ruhe auszutauschen und von Marie noch mehr Einzelheiten über den Rallye-Alltag zu erfahren. Marie und Christina (sie fährt den Sprinter) sind dieses Jahr die Profis in unserem Team. Sie haben bereits im letzten Jahr als Fahrerin und Navigatorin für Daimler an der Rallye teilgenommen. Christina Ackermann und Coralie Lejeune absolvieren das Navigationstraining zusammen mit dem Fahrtraining am selben Wochenende in Marokko.
Am nächsten Morgen geht es schon früh los. Zu Fuß und noch etwas verschlafen machen wir uns auf den Weg zur Trainingsstätte. Plötzlich taucht ein Auto hinter uns auf. Die Scheibe senkt sich, zwei Frauen schauen uns fragend an: “Gazelles?” spricht uns die Beifahrerin an. Es klingt wie ein Codewort. “Mais oui, nous sommes Gazelles!” ,antworten wir mit einem breiten Grinsen im Gesicht. “Jawohl, ich bin eine Gazelle!”. Jedes Mal wenn ich das sage oder auch nur denke möchte ich mich in den Arm kneifen, weil es sich immer noch wie ein Traum anfühlt. Die zwei Frauen sind ebenfalls auf dem Weg zum Training und haben etwas die Orientierung verloren. „Na, da kommt das Navigationstraining ja wie gerufen“, sage ich mit einem Augenzwinkern.
Der Trainingssaal ist bereits erfüllt von Frauenstimmen, Kaffeeduft und guter Laune – lauter Gazellen, was für ein Anblick! Einige sogar schon in einheitlichem Gazellen-Outfit. Circa 40 Frauen sind insgesamt anwesend. Das Training wurde auf 4 Wochenenden verteilt. Einige sind das erste Mal dabei, andere hingegen schon erfahren was den Rallye-Sport angeht. Manche der Teams haben einen Hauptsponsor – so wie wir – und andere haben ein Jahr lang oder mehr privat nach Sponsoren gesucht, um bei der Rallye mitfahren zu können. Die Anzahl der Fahrzeuge ist dieses Jahr auf 150 beschränkt. Insgesamt 301 Gazelles gehen in Marokko an den Start. Und wir dürfen Daimler mit 3 Fahrzeugen vertreten.
Dominique Serra, die Chefin der veranstaltenden Agentur Maienga, eröffnet die Veranstaltung. Es folgen wichtige organisatorische Informationen zum Ablauf der Rallye. Dieses Jahr findet die Start-Veranstaltung in Paris statt, direkt unter dem Eiffelturm. Uns wird noch einmal verdeutlicht, dass es sich bei dieser Rallye um einen weltweit einzigartigen und mittlerweile legendären sportlichen Wettkampf handelt. “Das wird keine Spazierfahrt meine Damen. Dies ist eine wahrhaftige Wüsten-Rallye und zwar eine der härtesten der Welt!” Doch trotz Wettkampfsituation wird betont, dass “Frau” sich bei dieser Rallye gegenseitig hilft, zumindest wenn ein Fahrzeug fest steckt. Der “Esprit des Gazelles” wird hochgehalten. Solidarität, Teamgeist, Mut, Respekt sind die “belles valeurs” der „Rallye Aicha des Gazelles du Maroc“. Bei diesen Worten bekommt man richtig Gänsehaut und auch etwas weiche Knie, wenn ich ehrlich bin.
Im Anschluss berichtet Marina, die Tochter von Dominique, über die humanitäre Organisation “Coeur de Gazelles”. Eine Gruppe von Ärzten, Krankenschwestern und Freiwilligen Helfern wird die Rallye begleiten und die Bevölkerung vor Ort medizinisch versorgen. Wir haben im Vorfeld mit Unterstützung von Kollegen und Freunden Spenden gesammelt, die wir in Marokko an die Organisation übergeben werden. Nochmal ein herzliches Dankeschön für diese Unterstützung! Auch das ist ein wunderbarer Aspekt der Rallye: „faire quelque chose pour les autres“.
Zur Einstimmung auf das Training wird uns ein kurzes Video gezeigt, wie Navigation in der Wüste funktioniert. Dann heißt es Stift, Lineal und Kompass zücken. Wir erhalten marokkanisches Kartenmaterial und dürfen uns selbst in der Kunst der Navigation üben. Die Karten sind in der Tat nur eine schwarz-weiß Kopie und für mich am Anfang nur ein Meer aus Linien und Pünktchen. Nach einigen Minuten angestrengten Hinschauens können wir die unterschiedliche Dichte der Pünktchen und die Linien so langsam deuten. Was ist Sand, was ein Oued und wo befinden sich unüberwindliche Klippen, die man umfahren muss. Als Referenz werden uns Fotos von der jeweiligen Landschaft gezeigt.
Mit Hilfe des „magischen Lineals“, mit dem man nicht nur gerade Linien zeichnen, sondern auch noch Grad abmessen kann, ist das Eintragen der Koordinaten dann eigentlich ganz einfach. Wir lernen Routen festzulegen, indem wir die Strecke auf Grund von Klippen, Dünen, Queds oder ähnlichen Hindernissen in Abschnitte mit unterschiedlichen Headings zerlegen. Anschließend werden uns auch noch kleine Tricks verraten, an die man im ersten Moment gar nicht denkt, wie bspw. die Koordinaten auf der Karte mit Leuchtstift hervorzuheben. „Immer die Erfahrenen fragen, die wissen was wichtig ist“, rät uns Valerie. Zum Glück haben wir davon ja zwei in unserem Daimler Team!
Zum Abschluss bekommen wir dann auch das kleine Wüsten ABC erklärt. Welche Kleidung ist sinnvoll? Wie geht man mit der Hitze und der physischen und psychischen Belastung um? Was ist gut und böse in Flora und Fauna? Und wie verhält man sich gegenüber der einheimischen Bevölkerung? Schließlich werden wir das königliche Wappen Marokkos auf unseren Westen tragen, damit geht auch eine gewisse Verantwortung einher.
Am nächsten Tag dürfen wir das theoretisch Erlernte auch noch einmal in der Praxis testen. Bei einem Stadtparcours durch Avignon sollen wir auf einer rudimentären Karte vorgegebene Checkpoints finden. Schnell wird uns klar, dass Theorie und Praxis nicht dasselbe sind. Doch mit der am Vortag gelernten Technik kommen wir alle zum gewünschten Ziel. In der Wüste wird sich das wahrscheinlich noch einmal ganz anders anfühlen! Unter Zeitdruck, Schlafmangel, auf einer anspruchsvollen Strecke, mit der Hitze und in einer ungewohnten Landschaft wird die Orientierung sicherlich zu einer Herausforderung. Aber wir haben es so gewollt und freuen uns auf dieses einzigartige Abenteuer. Herausforderungen sind da um gemeistert zu werden!
Am Ende der Veranstaltung sind wir bereits im Wüstenfieber. Am liebsten würden wir jetzt sofort auf der Stelle aufbrechen und sind schon voller Vorfreude und Abenteuerlust. Wir haben nette Kontakte geknüpft und freuen uns auf ein Wiedersehen in Paris und in der Wüste! Wie viel das Training gebracht hat, erfahren wir spätestens in Marokko. Alle Interessierten können auf der offiziellen Homepage der Rallye unseren Weg mitverfolgen und uns Grüße in die Wüste schicken (gazelles319@laposte.net, gazelles320@laposte.net). Wir freuen uns über jede Nachricht!
Und nicht vergessen “Une Gazelle ne se perd jamais, elle s’égare!” :)
Neugierig auf das Navigationstraining in Marokko (Teil 2)?
Hier geht’s zum Fahrtraining in der Wüste.
Weitere Impressionen zur Rallye und die Doku, die im letzten Jahr für n24 gedreht wurde:
Rallye Aïcha des Gazelles sur N24 von Rallye-Aicha-des-Gazelles
Mehr über den Auswahltag und wie sich die Teams fanden, gibt es hier zu lesen.